form follows function
Ein Beitrag von Rita Steiner
Sie rütteln an Prüderie, Konventionen, Bürokratie und Klassenschranken. In der Kunst schwören sie dem Dekorativen ab und wollen der Realität „auf den Grund gehen:“ die Jungen und Wilden der Bauhaus-Ära.
Weimar 1919: Zwischen zwei Weltkriegen öffnet sich ein Zeitfenster, in welchem Walter Gropius, Architekt, Designer und Stadtplaner, eine der innovativsten Kunstschulen des 20. Jahrhunderts ins Leben ruft: Bauhaus, eine Schule für Architektur und angewandte Kunst.
Revolution des Designs
Kern der Bauhaus-Idee ist es, Kunst und Handwerk miteinander zu vereinen und für jeden zugänglich zu machen. Produkte sollen in die industrielle Serienfertigung gehen, um den Alltag zu revolutionieren und eine neue, bessere Welt zu gestalten: „form follows function.“ So wurde beispielsweise das Konzept der bekannten und beliebten modularen IKEA-Möbel nicht in Schweden geboren. Es wurde von den klassischen Werken der Bauhaus-Designer inspiriert.
Was lernt man am Bauhaus?
Junge, begabte Künstler sollen Kunst, Architektur und Handwerk zu einer idealen Verbindung bringen und den Bau als Gesamtkunstwerk schaffen. Der theoretische Unterricht ist umfassend. Ingenieurwissenschaften, Psychologie, Betriebswirtschaftslehre und viele andere Fächer werden ins Lehrprogramm eingebunden. Die Meister nennen sich nun Professoren, die Absolventen erhalten ein Bauhaus-Diplom.
Spiel der Farben und Formen
Die Studenten beschäftigen sich intensiv mit den Beziehungen der Primärfarben und Primärformen. Das gelbe Dreieck, der blaue Kreis und das rote Quadrat sind unverwechselbar mit dem Bauhaus verbunden. Diese typische Farb-Form-Zuordnung begründet der Künstler und Bauhaus-Lehrer Wassily Kandinsky. Vorbild ist wohl vor allem die Farbenlehre von Johann Wolfgang von Goethe.
Grenzen sprengen
Revolutionär ist auch die Grundidee der Gleichberechtigung von Künstlern und Künstlerinnen. Mit dem Beginn der Weimarer Republik erlangen Frauen das Wahlrecht und die Lehrfreiheit. Walter Gropius verkündet im Programm: „Als Lehrling aufgenommen wird jede unbescholtene Person ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht, deren Begabung und Vorbildung vom Meisterrat als ausreichend erachtet wird.“ Somit zählt das Bauhaus zu einer der ersten Institutionen, welche Frauen erstmals den kostenfreien Zutritt an einer öffentlichen Kunstschule gewährt. Und in einem Pamphlet für eine Ausstellung im April 1919 heißt es, es gehe darum, „eine neue Zunft der Handwerker zu kreieren, ohne die Klassenunterschiede, welche eine arrogante Barriere zwischen Handwerker und Künstler schaffen.“ Es solle keine Grenze mehr geben zwischen Künstler und Handwerker. Ähnlich dem Verständnis der Blütezeit der Renaissance am Ende des 15. Jahrhunderts in Italien, wo Künstler sich zugleich als Handwerker empfanden und sich als wahre Multitalente auf mehreren Gebieten entpuppten.
Nur 14 Jahre
Ab 1933 verfolgt von den Nationalsozialisten durch Repressionen wie Hausdurchsuchungen, Versiegelung der Räume und Verhaftung von Studenten, lösen sich die Institutionen schließlich selbst auf. Die Ideen aber ziehen mit den auswandernden Künstlern weiter in die Welt – in die USA, die Schweiz, nach Russland, Israel und viele weitere Länder. Und so prägt uns bis heute deren zeitloser wie auch moderner Ansatz und ihre Philosophie:
- die Form folgt der Funktion
- das Wesen des Echten, Wahren und Schönen zeigt sich durch Weglassen von Überflüssigem
- Entwicklung und Verständnis fördern für Raum, Proportion, Struktur und Materialität
- neue Technologien nutzen und zulassen
Das klingt alles ziemlich zeitgemäß, finden Sie nicht auch?
Der Künstler ist ein Begeisterter mit Hingabe und Enthusiasmus. Aber die Beherrschung seines Handwerks ist unerlässlich.“ Gropius